»Ich weiß, wo unser Land war«
Joyce Muzengua vom Landless People Movement Namibia setzt sich für die Rückgabe von Boden an Nachfahren der Opfer des Genozids ein
In Namibia gehören bis heute 70 Prozent des privaten fruchtbaren Ackerlandes den Nachfahren weißer Europäer*innen. Welchen Einfluss hat das auf jene Namibier*innen, deren Vorfahren den Genozid überlebt haben?
Während des Kolonialismus wurde das Land der Ovaherero und Nama und auch der Damara und San gewaltsam an sich gerissen. Die indigene Bevölkerung wurde enteignet und die Landrechte wurden an weiße Siedler*innen übertragen. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert, weil unsere Verfassung – auch das ist ein Erbe des Kolonialismus – das Privatland schützt, das den weißen Minderheiten gehört.
INTERVIEW
Joyce Muzengua (26) leitet das Menschenrechtsreferat der Partei Landless People Movement (Landlosenbewegung) in Namibia. Außerdem ist sie stellvertretende Vorsitzende der Stiftung für den Völkermord an den Ovaherero. Ulrike Wagener sprach mit ihr über den Zusammenhang zwischen Landverteilung und Kolonialismus in Namibia und die Forderungen ihrer Partei.
Aber es gibt doch Bestrebungen, das Land in Nambia umzuverteilen?
Ja, es gibt das kommunale Bodenreformgesetz. Das sieht so aus, dass der Staat gezielt Land von weißen Farmern aufkauft und treuhänderisch verwaltet zugunsten der traditionellen Gemeinschaften, die in diesen Gebieten leben. Kommunales Land kann nicht gekauft oder verkauft werden, aber man kann ein Gewohnheitsrecht oder Pachtrecht an einem Teil des Gemeindelandes bekommen. Aber in der Hardap-Region beispielsweise sind nur fünf Prozent des Landes kommunal. 75 Prozent sind Privatland und 15 Prozent Naturschutzgebiete. In der Omaheke-Region leben Hirtengemeinschaften auf dem kommunalen Land, es ist nicht für die Landwirtschaft optimiert, weil das Land allen gehört.
Was wäre Ihre ideale Lösung für die Landfrage?
2018 hatten wir eine Landkonferenz, die einige wirklich gute Beschlüsse gefasst hat. Wir sind der Ansicht, dass das von der Regierung festgelegte System in Ordnung ist. Und anders als in Südafrika verkaufen die weißen Landwirte in Namibia ihr Land. Das Problem hier ist die Umsetzung. Die Regierung vergibt die frei werdenden Ländereien nicht gezielt an die betroffenen Gemeinschaften, sondern an die Mehrheitsgesellschaft, häufig mit Verbindungen zur Elite der regierenden Swapo-Partei. So wird Land an Menschen zurückgegeben, die gar keins verloren haben. Wir wollen Affirmative Action: Gezielte Rückgaben von Land an die Opfer des Genozids und ihre Nachkommen.
Wie können Menschen beweisen, dass das Land ihrer Vorfahren enteignet wurde?
Wir setzen uns dafür ein, dass ein Schiedsgericht gebildet wird, wo Menschen ihre Ansprüche geltend machen können. Die Rückgabe von angestammtem Land in Namibia ist möglich. Vor allem bei den Herero ist es üblich, dass man dort begraben wird, wo man herkommt. Findet man an einem bestimmten Ort viele Gräber seiner Gemeinschaft, heißt das, dass sie dort gelebt hat. Außerdem ist der Genozid erst 100 Jahre her, das kann zuweilen eine Generation sein. Die Geschichte wird mündlich weitergegeben. Ich bin 26, aber ich weiß sehr genau, wo meine Vorfahren gelebt haben und wo unser Land war, bevor es ihnen weggenommen wurde.
Woher wissen Sie das?
Ich weiß das, weil es mir gesagt wurde und weil meine Urgroßmutter dort begraben wurde. Wenn man vor einem Schiedsgericht beweisen kann, dass ein Grundstück das Land der eigenen Familie war, dann sollte es zurückgegeben werden. Wenn es in privatem Besitz ist, sollte es enteignet werden.
Sie wollen also Enteignungen?
Ja, auf jeden Fall. Wir wollen die Enteignung, ob mit oder ohne Entschädigung. Die Verfassung besagt, dass das Land enteignet werden kann, wenn es im Interesse der Öffentlichkeit ist. Selbst wenn sie es mit einer gerechten Entschädigung enteignen, sollte es ein Schiedsgericht geben, damit sie es an die Nachkommen zurückgeben können.
Was verhindert, dass das jetzt passiert?
Die Landumverteilung passiert. Aber sehr langsam und durch einen sehr ausschließenden Prozess. Die Nachfahren der Opfer des Genozids werden bei der Landumverteilung nicht bevorzugt. Und als Folge des Völkermords leben viele Familien in Armut und können es sich nicht leisten, einen großen Bauernhof zu kaufen, der sieben Millionen namibische Dollar kosten kann. Wenn der Prozess zielgerichtet umgesetzt würde, würde das helfen.
Die Gemeinsame Erklärung zwischen Deutschland und Namibia sieht auch Geld für die Landfrage vor. Ist das sinnvoll?
Von den 1,1 Milliarden wird nur ein bestimmter Betrag in die Landreform fließen. Dieses Geld wird die Landfrage nicht lösen.
Wie reagieren die weißen Farmer auf Ihre Arbeit?
Unser Kampf gilt nicht den weißen Farmern, sondern unserer Regierung. Wir wollen eine restaurative Landreform.
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